Volker Baumeister

„Einleuchtend wie der Schnitz einer Frucht“
zur Eröffnung der Ausstellung bei KUNST KOCH in Freiburg am 15.05.2017

Bruegel. Meine Damen und Herren, der Name fiel. In Pieter Bruegels „Bauernhochzeit“, da finden Sie so was, sagte Karl Manfred Rennertz. Ja, da schenkt einer der dörflichen Festgesellschaft Wein ein. Ein ganzer Haufen tönerner Krüge wartet darauf, gefüllt zu werden, unten links in der Bildecke – wie ich mich überzeugte. Und übrigens auch im „Bauerntanz“, draußen auf dem Dorfplatz vor der Schenke, auf dem grob gezimmerten Tisch steht so ein Henkelkrug. Die Krüge – darum geht es. Darauf stößt man im Katalog der Ausstellung, die parallel zu dieser hier in Rennertz‘ Heimatort Langerwehe läuft.

Mehrfach abgebildet sieht man einen mittelalterlichen Brennofen, auf dem Gelände derTöpferei Kuckertz & Rennertz, den die Archäologen vom Bonner Rheinischen Landesmuseum ausgruben. In den historischen Ofen sind (aus Fehlbränden) viele solcher Gefäße vermauert, die jenen gleichen, aus denen sich die Bauern beim alten Bruegel bedienen. Langerwehe, zwischen Düren und Aachen, – Langerwehe mit seinem Steinzeug hat eine lange Geschichte und die der Rennertz-Familie ist davon ein Teil. „Seit dem 13. Jahrhundert wühlen die Rennertz auf dem Ulhaus im Lehm“, schreibt der Künstler im Katalog, den er den Eltern widmet und der Langerweher Töpferei. Auf die Keramik ist Karl Manfred Rennertz erst spät zurückgekommen. Dann aber entstanden im atemberaubend schnellen Takt Arbeiten mit Ton. 2015 stellte die Majolika in Karlsruhe den neuen keramischen Zweig seines Werks aus. Hier bei Koch ist von den Köpfen, den „Skizzen“, den Reliefs mit den rillenartigen Fingerspuren nichts. Und doch scheint mir der Bezug nicht weit hergeholt. Rennertz‘ Hommage an das Töpferhandwerk und die Familie ist ein Stück Selbsterklärung.

„Lehm zwischen den Zehen“ (der Titel seiner Schau im Töpfereimuseum) ist ein treffendes Bild. Was den Bildhauer ausmacht – Materialbewusstsein und der lustvolle Umgang mit dem Werkstoff –, findet darin eine Erklärung. Seine Domäne aber ist bekanntlich das Holz. Wie kam es dahin? Was Werk und Vita betrifft, zitiert er gern den „Zufall“ als schlichteste aller Erklärungen. In Düsseldorf wurden, als er an der Akademie studierte, beim Bau der U-Bahn eine Menge Straßenbäume abgeholzt. Holz lag sozusagen auf Straße oder auf der Hand. Der Bildhauer musste nur zugreifen. Längst – unabhängig von Düsseldorf und U-Bahn – ist es so, dass Rennertz, der „berühmte Karl Manfred Rennertz (um Klaus Gallwitz zu zitieren), sich um die Beschaffung von Werkholz nicht scheren muss. Frauen bekommen Blumen. Sagt er. Er bekomme Bäume. Man kommt ihm mit Hölzern aller Art. Roteiche, Schwarzpappel, Rotulme, Weißtanne. Linde, Ahorn, Erle, Esche, Lärche, Robinie, Pinie, Zypresse, Esskastanie, Douglasie, Weide, Buche fallen an. Mammutbaum und andere Exoten. Manche Bäume fällte der Blitz, andere fegte ein Sturm um. Oder irgendein, mehr oder weniger nachvollziehbares, Kalkül brachte sie zur Strecke. Am Ufer des Nils in Luxor sah man aus einer Palme eine Rennertz-Skulptur werden. In Neu Delhi Figuren, zum Beispiel aus Cheerholz. Mit der Arbeit nach draußen zu gehen, fing früh an. 1977 war er beim Holzbildhauersymposion im Freiburger Colombipark. 1979 noch einmal beim zweiten Symposion „Holz + Kunst“ in Freiburg.

Zu der Zeit war er schon dabei, sich vom „Realismus“ der Anfänge zu trennen. 1981 zog er dann in den Südwesten um. Es ergab sich, dass er von seinem Düsseldorfer Professor, dem in Freiburg geborenen, in Baden-Baden lebenden Schweizer Alfonso Hüppi, ein Atelier übernahm. Soll man es Zufall nennen? Der Weggang aus Düsseldorf war eher eine Entscheidung. Wahlbadener ist Rennertz bis heute. In den frühen Achtzigern, in Baden-Baden, fand die Geste in seine Arbeit. Die beiden unübersehbaren Zwei-Meter-Menschen hier mit ihren kantigen Körperformen aus Eiche sind aus der Anfangsphase des charakteristisch Rennertz’schen Figuralstils. Die Figur formulierte er, nun deutlich aus dem Stamm heraus, als zupackend handwerklichen Akt. Ein Protagonist einer Ästhetik des groben Schnitts. Er führte die Kettensäge in die Kunst ein. Ein Hüppi-Porträt von 1979 ist – auf der Linie seiner frühen Bildniskunst – noch gewissermaßen feingezeichnet. Der „Alfonso“, drei Jahre später, lässt den Kopf als mächtigen, in den Leib gerammten Keil erscheinen. Das Bildnis zeigt sich in ein Bildnis der Arbeit verwandelt. Die Figur ist vor allem dies: ein emphatisches Stück Bildhauerei. Expressive Geste? Kein Widerspruch von Künstlers Seite. Er sieht sich getroffen mit dem Wort. Dem Klischee des instinkthaften Ausdruckskünstlers, der sein Inneres nach Außen stülpt, entspricht sein Profil allerdings nicht. Seine Handlung zeichnet sich durch kraftvolle Direktheit aus. Doch kein „Neuer Wilder“ ist er, wie Klaus Jürgen-Fischer klarstellt. Das mochte für einige Maler der Generation um 1950 eine Haltung sein. Mit der Kettensäge aber fuchtelt und wütet man nicht; dies allenfalls beim Massaker, mit dem der Gestaltungsakt kaum zu verwechseln ist.

Der Holzbildhauer hat einen Plan, der vom Baum ausgeht; er handelt in überlegten Schritten. Die Form ist das Resultat einer Kette von Interventionen. Mit den Expressionisten teilt Rennertz die Liebe zum Material. Der Holzschnitt war ja das druckgraphische Medium expressionistischer Bildkunst. Das Holz der Werkstoff expressionistischer Bildhauerei. Im Holz ließ sich auf sozusagen natürliche Weise der Werkcharakter des Kunstwerks hervorkehren. Das organische Holz wirkte als haptischer Reiz und handwerkliche Herausforderung. „Es ist ein sinnlicher Genuss, wenn Schlag für Schlag die Figur aus dem Stamm herauswächst.“ Dass die Worte Ernst Ludwig Kirchners dem Empfinden Rennertz‘ nicht widersprechen, das will ich meinen. Und das Diktum des expressionistischen Maler-Bildhauers Kirchner „In jedem Stamm steckt eine Figur“ – es illustriert uns Rennertz noch in jedem seiner hölzernen Werkstücke.

Aber was einem fern liegt, der wie Rennertz unser Zeitgenosse und nicht der eines Kirchner ist, das ist der idealistische Impetus, der ideologische Überbau. Der Expressionismus der frühen Moderne war von einer Aufbruchstimmung geprägt, die wir nur noch als historisch ansehen können. Mit Schnitzmesser und Beil dachten die Künstler (im Fahrwasser des Südsee-Immigranten Paul Gauguin) nichts geringeres als das Leben neu zu gestalten – das alte Europa und seine Kultur glücklich hinter sich zu lassen in Richtung Natur. Ich finde es fragwürdig, Rennertz im Zusammenhang eines derart neoromantischen (oder auch eines nur ästhetisch-revolutionär motivierten) Primitivismus zu sehen. Rennertz vertritt keine primitivistisch retrospektive Utopie. Er folgt einem entwickelten Formbewusstsein. Begriffe wie „Urtümlichkeit“, „Archaik“, „ursprüngliche Einfachheit“, wie man sie in der Rennertz-Rezeption reproduziert findet, sind von geringem Aussagewert. Sie beschreiben vage Assoziationen und sagen inhaltlich nichts. Das Sentiment, auf das sie rekurrieren, kann ich mit dem Künstler nicht verbinden. Sendungsbewusstsein scheint durchaus keine ihn prägende Eigenschaft zu sein. Wir haben hier an der Wand diese rot gefassten, fast raumhohen „Splitter“. Partikel eigentlich bloß, doch in bildmächtiger Großform. Dies ist, was herauskommt, wenn man bestimmte Schnitte setzt und lang genug durchzieht. Eine denkbar lakonische Form. Einleuchtend wie der Schnitz einer Frucht. Rennertz schaut darauf, dass das Holz möglichst direkt zur Figur findet.

Dass bei dem skulpturalen Prozess nicht übermäßig viel Substanz verloren geht. Selbst „Reste“ werden auf ihren Formwert hin geprüft. Das ist die unaufdringlichste Form der Wertung. Von Belang ist, was formtauglich ist. Doch zweifellos – ohne dass ihr Autor ihnen ein Deutungsgewicht aufbürdet – regen die zeichenhaft prägnanten Dinge des Karl Manfred Rennertz zur Deutung an. Für eine Ausstellung im litauischen Kaunas entstand ein „Schwarzes Boot im roten Meer“, dessen Rumpf der von ihm ja auch zitierten Ganzkörperaura, der Mandorla, nahe kommt. In Kaunas, erzählt der Bildhauer, wollte man ihm sehr dafür danken, dass er mit diesem Boot einen Beitrag zum nationalen Mythos geliefert habe. Dabei war er weit davon entfernt, ein Selbstempfinden seiner Gastgeber in ein Sinnbild fassen zu wollen. Und wenn er die ein oder andere Skulptur – wie diese hier neben dem Treppenaufgang! – als „Herz“ ansieht, heißt das nicht gar so viel. Herz Jesu, Theresa von Àvila? Nein, dies „Herz“ ist kein Bedeutungsbrocken in der Richtung. Und der eindrücklich expressive Gestus Rennertz‘ hat auch nichts mit dem symbolistischen Psychologismus etwa eines Edvard Munch zu tun, der Herz mit Mann und „Weib“ verknüpft. Die rote Form hier: Es fragt sich vielleicht gar nicht zuerst, womit sie sich verbindet. Herz, Blüte, Knospe?

Schauen wir hin, was sich tut! Wodurch diese wuchtige, geschlossene und doch raumgreifende Form bestimmt ist. Handwerkliche Schritte – Schnitte lassen sie klar und einsichtig erscheinen. Schrägschnitte zumal definieren die Dynamik der Standfigur. Etliche Kerben in der Baum nahen Basis bleiben als Spuren der Eingriffe unkaschiert. Wie ein Keil scheint dies herzartig ausladende Ding in dies Fußstück eingespreizt zu sein. Es geht ja, genau genommen, aus ihm hervor – und wirkt doch eher wie ein kraftvoller Zusatz. Anders als solche „Herzen“ wachsen sich die von Rennertz systematisch auf die menschliche Gestalt hin ausgelegten Figuren – so wie die Prototypen vis-à-vis in der Eingangshalle – in übereinander gestaffelten Formfolgen aus. Wenn Sie die Treppe hochschauen, entdecken Sie den Figurentypus noch in zeichnerischmalerischen Varianten breiter dokumentiert. Rennertz‘ Figur nimmt einen Spielraum ein zwischen Architektur und Gewächs. Turm aus Keilen kann sie sein (Die große Gouache in Blau und Rot bildet dazu eine Art zweistufiger Basis.) Doch auch Pflanze ist sie. Mit dem Blick auf „Philemon und Baucis“, Rennertz‘ bronzenes Duo vor dem Theater in Baden-Baden, sprach Klaus Gallwitz von „Schachtelhalmen“. Das wäre die Synthese von Wachstums- Anmutung und Bau. Nicht wenige seiner Figuren gleichen frühlingshaft knospenden Stecken.

Als ich den Bildhauer auf solche Wachstumsmetaphorik anspreche, reagiert er verhalten. Die Idee ist ihm wohl nicht neu. Doch wendet er ein, dass er selbst so nicht denke. Wenn sich’s am Ende in solcher Art darstelle, sei dies – so Rennertz – „die logische Folge des Arbeitsprozesses“. „Wenn man in der Weise aus dem Holz etwas herausnimmt“, sagt er, könne der Eindruck entstehen. Womit er uns konfrontiert, ist konsequente, lapidare Holzbildhauerei. Doch eben mit Ausdruckspotenz. Oben, vor der Glaswand des Sekretariats, steht ein Paar aus der Werkgruppe der Säulen. Tief eingekerbt zeigen sie sich, die naturgewachsenen, weit übermannshohen Zylinder, – und mit eingesägtem Zahnschnitt. Sie tragen ihre Kapitelle wie Köpfe. Die Anspielung verbindet sie entfernt mit Karyatiden. Und sie stehen nicht einfach da: entwickeln vielmehr eine Körperspannung. Gehen aufeinander ein. Ja, ihre Zweisamkeit liegt in ihrer Haltung begründet. Ich will sie, in ihrem Inkognito, als Vorläufer der Philemon und Baucis ansehen, die zum Baumpaar mutierten. Seine Bildideen skizziert der Mann mit der Säge, Karl Manfred Rennertz, großzügig in Gouachen. Sie antizipieren die dreidimensionale Form, bevor noch mit Farbe die projektierte Gestaltung auf dem Stamm vorfixiert wird. Und sie stellen aber auch selbst, in ihrer bildmäßigen Ausführung, eine gültige Ausdrucksform dar.

Malerei und Zeichnung betreibt Rennertz darüber hinaus mit den Mitteln des Materialbildners, des inspirierten Verfahrenstechnikers. Mit seinen Dachpappen knüpft er motivisch an die figurativen Bildwerke an. Und schafft sich doch, andererseits, ein Handlungsmuster sui generis. Beides macht die Ausstellung klar. Sein Handeln schließt ungewöhnliche Methoden und Mittel ein. Der Holzschneider und -drucker HAP Grieshaber nahm, wenn es Not tat, den Kochlöffel in die Hand – zum Durchreiben der geschnittenen Form. Um großformatige, die Möglichkeit konventioneller Pressen sprengende Holzschnitte zu drucken, bedient sich Karl Manfred Rennertz der kolossalen Kraft der Dampfwalze. Und seit langen Jahren schon ist er ein aktiver Anhänger der Feuerkraft. Ein unliebsamer Zwischen- oder Zufall brachte ihn darauf. Ein Brandattentat auf eine seiner Skulpturen ließ ihn das Abfackeln als Methode des Einschwärzens entdecken. Es bereicherte sein Handlungsspektrum. Die „Brandaktion“: Sie mag ein Wäldchen hölzerner Säulen betreffen oder auch mal ein aus dem Stamm geschnittenes Boot. Wobei denn, neben dem Rußschwarz, die (ich zitiere) „Überhöhungsfarbe“ Gold zur Geltung kommen kann. Blattgold ist, wirkungssicher, hoch gegriffen.

Ungewöhnlich gewöhnlich ist die Dachpappe. Den Geruch des mit Bitumen beschichteten Baumaterials mochte schon das Langerweher Kind. Vor etlichen Jahren fiel es dann dem Künstler in die Hand. Mit dem Bemalen klappte es allerdings erst, als der zum Trocknen den Brenner einsetzte. Den Farbbrei aufkochte – und auf dem Weg die eingravierten, doch nachher versuppten Strukturen wieder zur Geltung brachte. Die Vehemenz, das furiose fa presto Rennertz’scher Formhandlung erfährt hier mit Farbbrei und Brenngerät eine verblüffende Bestätigung. Wenn ich gefragt würde, was das eigentliche Metier dieses agilen Machers sei. Ich würde meinen: die Feier. Und zwar die Feier des Hier und Jetzt.

Doch dies noch zum Schluss. Nicht unterschlagen will ich die zugespitzt vegetabile Form, den hoch aufgebockten „Grünen Zapfen“ im Chefbüro. Und schließlich: ein Holzscheit, das auch zum Ensemble gehört. Es hängt über der Treppe. Ein Stück vom Typ der „Maske“. Und eigentlich doch auch nur so ein Rest, wie die Dachpappe war oder die „Splitter“ da. Bei der Arbeit des Stipendiaten in der römischen Villa Massimo fiel es einst ab. Abfall. Und wurde dann aber vor der Abreise aufgegriffen: farbig gefasst. Auf dem Weg der Gestaltung dem Gang allen Feuerholzes erfolgreich entzogen. Gewürdigt – als Formträger. Dass Feuer „ein wunderbares Medium“ sei, sagt Rennertz. Das sagt der Gestalter, der an den Brenner und nicht an den Brennofen denkt. Jetzt leuchtet seine „Maske“ noch nach bald drei Jahrzehnten fast wie Feuer. Aber ultramarin wie das herrliche Meer.