Dan Holsbeek

Die universelle Sprache von Karl Manfred Rennertz
Zur Eröffnung der Ausstellung „Die Köpfe der Serpara“, 8. Juni 2014

Die expressionistische Tradition

Karl Manfred Rennertz gehört zu einer reichen deutschen – und durch ihre Ausbreitung europäischen – Tradition expressionistischer Holzskulptur. Die gesamte Umsetzung einer persönlichen Idee in ein Kunstwerk, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts entscheidend war für die Kunst der Fauvisten und Expressionisten, wurde in Deutschland in hohem Maβe mit einerseits gotischen einheimischen Formen und andererseits mit einem zunehmenden Interesse für die ethnografischen Artefakte in entsprechenden Museen vereinigt. Die Direktheit und das Ungekünstelte der sogenannten ‚primitiven‘ Kunst ‚ war im Zusammenhang mit expressiver Kantigkeit, wie in der spätgotischen Plastik, mitentscheidend für die Kunst von ‚Die Brücke‘, ‚Der Blaue Reiter‘ und für den deutschen Expressionismus der Nachkriegszeit. Die kunsthistorische Determinante wird Karl Manfred Rennertz – genau wie seine Vorgänger – mit individuellen und aktuellen Elementen vermischen.

2. Der Baum

Weil der Baum im Erdboden wurzelt und seine Krone sich gegen den Himmel streckt, gehört er in Analogie zum Menschen zu zwei Welten. Der Baum wächst, stirbt und liefert – wie die skandinavischen Designer zum Überfluss erkennen – ein warmes und taktiles Material. Der Baum ist auch das Ergebnis seines Standorts und seiner Entwicklung. Deshalb ist jedes Exemplar einzigartig. Man übertreibt nicht, wenn man unterstellt, dass Holz nicht nur ein natürliches, sondern auch ein menschliches Material ist. Aus u.a. diesem Grund versteckt Karl Manfred Rennertz die Qualitäten des Holzes nicht. Seine Skulpturen verhüllen nie die Verbindung zwischen dem bearbeiteten Material und dem Leben, von dem es stammt. Die Form des Baumes wird vom Künstler dahingehend ausgeschöpft, dass die Ursprungsform des Stammes mitentscheidend ist für das Aussehen der Skulptur. Es erinnert ein bisschen an den David von Michelangelo, dessen Form in hohem Maβe von einem hohen und schmalen Marmorblock bestimmt wurde, den der Künstler zu seiner Verfügung hatte. Die Verbundenheit mit dem Ausgangsmaterial manifestiert sich reflexiv bei den Arbeiten des deutschen Holzbildhauers. Nicht nur in seinen säulenartigen Figurationen, sondern auch in seinen Masken und in seinen Vorstellungen die auf Kugel, Herz, Goldklumpen, Tropfen und andere anspielen.

3. Doppelbegriffe

Nebst dem scheinbaren Gegensatz zwischen dem mit der Natur verbundenen Material und der durch die Kultur geschaffenen Form, gibt es noch andere Spannungsfelder in Karl Manfred Rennertz‘ Oeuvre. So steht – um nur die wichtigsten Doppelbegriffe oder Gegensatzpaare zu erwähnen – kreieren gegenüber vernichten, figurativ gegenüber abstrakt und verhüllen gegenüber enthüllen. Auf diese Weise wird das Holz während des Produktionsprozesses einmal wegen seiner Eigenheit gehegt und ein andermal mit Kettensäge und Gasbrenner verletzt. Widersprüchliche Ausdrücke wie zerstören und kreieren sind unauflöslich miteinander verbunden. Die säulenförmigen Konstruktionen, die größtenteils Repräsentationen des Menschen sind, bewegen sich innerhalb einer haardünnen Grauzone zwischen Figuration und Abstraktion. Das eine Mal sind sie als menschliche Gestalt noch wiederzuerkennen, das andere Mal fehlt jede Verbindung.

Zum Schluss bemalt der Künstler seine Skulpturen oder schwärzt sie mit Feuer. Das passiert jedoch immer im Dialog und mit Respekt für die Eigenart des Materials; Struktur und Taktilität sind immer sichtbar und fühlbar. Gewissermaßen erinnern die farbigen Skulpturen an die bereits genannten spätgotischen Werke, bei denen die Polychromie etwas verblasst ist. Übrigens sind einige Arbeiten vom Künstler auf der Rückseite ausgehöhlt. Auch dies erinnert an die Technik mittelalterlicher Meister.

4. Zeichenwert und Universalität

Die Skulptuen von Karl Manfred Rennertz sind einfach , ungekünstelt, Urgestalten. Solche Archetypen haben ein großes semiotisches Potenzial. Seine „Boote“ zum Beispiel schließen sich nicht nur eng an den ausgehöhlten Baum an, sie repräsentieren auch das Reisen, nicht nur im physischen Sinne des Wortes. Wir denken dabei an die ägyptischen Sonnenboote, welche die Sonne täglich über den Himmel tragen, oder nicht so lange her, die Kanus im Werk des italienischen Arte-Povera- Künstlers Gilberto Zorio. Die Einfachheit und Natürlichkeit von Karl Manfred Rennertz’ „Boot“ erinnert an eine Mandorla, jener mandelförmige Nimbus, der in der Kunstgeschichte benutz wurde, um einen wertvollen Inhalt einzuschließen. Im Mittelalter war die Mandel auch Symbol für die Gebärmutter, vermutlich wegen der formalen Parallele zur Vulva. Einen ebenso reichen Zeichenwert kann man an die imposanten Säulenformen koppeln, die sich einmal auf eine – schon erwähnte – stilisierte menschliche Gestalt und ein andermal auf historische architektonische Konstruktionen beziehen. Im Fall der menschlichen Gestalt erinnern sie – wie gesagt – an ethnische Artefakte, an den deutschen Expressionismus der Vorkriegszeit und an Bilder von Pablo Picasso. Anderenfalls gibt es Reminiszenzen an Konstruktionen, die der Mensch schon immer und überall geschaffen hat, um ein Zeichen zu setzen. Sich zu erheben in eigener Ehre und eigenem Ruhm, auf der Suche nach einer Verbindung mit dem Höheren oder aus welchem anderen Grund auch immer. Überall finden wir dieses Erheben wieder, von prähistorischen Megalithen bis zu nordamerikanischen Totems, von Obelisken bis zu Triumphsäulen, von präkolumbianischen Stelen bis zu gegenwärtigen monumentalen Bildern, die als Zeichen in der Landschaft stehen. Denken wir an die ‚Freiheitsstatue‘ in New York Bay, an ‚Christus der Erlöser‘ in Rio de Janeiro oder an den imposanten ‚Angel of the North‘ von Antony Gormley in Gateshead.

Am Rande sei erwähnt, dass Besucher , die mit Limburger aktueller Kunst vertraut sind, diese Ausstellung auch mit den Werken von Willy Van Parijs in Verbindung gebracht haben.

5. Extrapolation

Dank seiner Form und Bedeutung hat das Werk von Karl Manfred Rennertz eine universelle Dimension. Mit gleicher Leichtigkeit arbeitet er in seinem Ursprungsmaterial Holz, schafft aber darüberhinaus sowohl dreidimensionale Werke aus Bronze, Glas und Beton wie auch zweidimensionale Werke auf Papier, Holz und Textil. Mithin ist der Künstler Karl Manfred Rennertz als weltläufiger Protagonist des gegenwärtigen deutschen Kunstschaffens zu sehen.