Dr. Klaus Gallwitz

Zur Einweihung des neugestalteten Goetheplatzes und der Skulpturen von Philemon und Baucis des Bildhauers Karl Manfred Rennertz am 20. Mai 2011

Philemon und Baucis kommen nach Baden-Baden
Wir werden heute Zeuge von drei Verwandlungen. Sie betreffen den Platz um uns, die Kunst vor uns und den Stoff, der sie verbindet. Den müssen wir jetzt entdecken. Vom Balkon des Hauses Pagenhardt ertönt Musik der Bläser. Noch ist die Kunst verhüllt. Die Redner ergreifen nacheinander das Wort.

Zuerst geht es um die Enthüllung. Nein, nicht der Kunst, sondern der Wahrheit. Denn wenn die beiden Alten unter ihrer Verhüllung heraustreten werden, ist dies nicht der „Schlusspunkt“ nach der Neugestaltung des Platzes, wie wiederholt angesagt, sondern es ist der bedeutende Auftakt. Ein Anfang, ein Auftritt der ganz besonderen Art. Die erste Verwandlung.

Wo befinden wir uns gegenwärtig? Auf dem Goetheplatz. Vor dem Theater. Da fällt uns doch ganz von selbst das bekannte Stück von Doktor Faust ein: „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten …“. Und dort heißt es gleich nach dem „Zuneigen! überschriebenen Anfang: „Vorspiel auf dem Theater“. Wir ändern das jetzt sofort und richtig in „vor dem Theater. Wo wir ja auch stehen.

Aber wer spielt in unserem Fall nun mit? Da ist zunächst der Stückeschreiber. Er heißt bei uns Rolf Metzmeier und hat sich alles ausgedacht. Er hat auch gleich einen Regisseur mitgebracht, der das Stück in Szene setzt. Sein Name ist Markus Brunsing, von Beruf Gartenbaumeister. Natürlich wissen Stückeschreiber und Regisseur, daß man einen Hauptdarsteller braucht. Er tritt gleich aus der Kulisse. Es ist der berühmte Karl Manfred Rennertz.

Auf diese Drei kommt es an. Das hat sich herumgesprochen. Und schon sind die Produzenten da, damit das Stück unter die Leute kommt: voran der Oberbürgermeister der Stadt Baden-Baden mit seinem Gemeinderat und dann die vielen Helfer und Helfershelfer. Sie werden am anderen Ort sicherlich aufgezählt und gewürdigt. Am Ende ist da noch der Stifter, und weil der Personenzettel schon recht lang ist, hat er zur Vereinfachung den Namen Rolf Metzmeier angenommen. Er stellt sich nicht groß heraus, sonder bleibt am Rande. Wie auf alten Bildern. Wir wollen uns das merken.

Inzwischen hat sich der Goetheplatz in ein Proszenium verwandelt, mit drei Achsen – zum Theater hin, zur Stadt und zur Lichtentaler Allee. Eine schöne Bühne. Der Vorhang ist geöffnet.

Erster Auftritt des Hauptdarstellers. Aber der Akteur Rennertz schweigt. Er kennt die Devise: Bilde Künstler, rede nicht, – und handelt danach. Statt seiner spricht der Souffleur. Er hat einen Spleen. Den sogenannten Schlusspunkt des Stücks mit der Aufstellung der Figuren am Goetheplatz erklärt er zum Ausgangspunkt der Geschichte, zum Anfang einer Inszenierung, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und entfalten wird, unter dem wechselnden Himmelslicht des Jahres, sommerlich und winterlich, mit Pausen. Wie die Patina einer Bronze, aus der Philemon und Baucis gemacht sind. Heute ist nur das Vorspiel dran.

Wie auf einer Drehbühne verschiebt sich die tägliche Kulisse. Die Fiaker fahren vorbei und ebenso das motorisierte Bimmelbähnchen mit seinem touristischen Publikum. Fußgänger schlendern über die neue Bühne und zücken Fotoapparate. Heute findet die Enthüllung, wie wir alle sehen, vor gut besetzten Rängen statt. Es kommen aber auch Tage und Nächte der Einsamkeit, des Zwielichts und eines menschenleeren Platzes. „Toutes les grandes passions se forment dans la solitude“ (Pierre Rosenberg), lautet das Motto für diese Stunden. Und damit sind wir wieder beim schweigsamen Hauptdarsteller Rennertz.

Er hat mir sein Rollenbuch in die Hand gedrückt. Es ist vom März dieses Jahres, ein Heft mit Skizzen und Fotos. Hier meldet sich die Arbeit an der Kunst. Es finden sich darin Überlegungen zum Stellplan im Platzensemble, zur Höhe und zum Abstand der Skulpturen voneinander, über Größe, Höhe und Form ihres Sockels.

Es sind in diesem Heft eingeklebt Fotografien der Modellvorlagen. Der Arbeitsprozeß an den Figuren ist dokumentiert. Man sieht das Stahlskelett mit dem Gipsaufbau, das Antragen und Abschlagen des Materials. Am Ende werden die Gipsmodelle der Skulpturen in Originalgröße zur Gießerei Casper nach Remchingen geschafft und hier für das Sandgußverfahren zweckmäßig zerlegt. Man sieht, wie negative Formteile in Formkästen gebettet werden.

Nach dem Guß geht es an die Ziselierung und Patinierung. Am Montag, dem 16. Mai, ist es soweit: auf einem Lastwagen verlassen Sockel und Skulpturen die Gießerei und werden Stunden später am vorgesehenen Platz montiert. Das ist die Generalprobe. Nichts geht schief. Der Souffleur kann das Rollenbuch aus der Hand legen. Stückeschreiber, Regisseur und Hauptdarsteller sind zufrieden. Die zweite Verwandlung ist gelungen.

Aus Eins mach’ Zwei. Diese Absicht geht der Erschaffung Evas voraus. Der Stückeschreiber und Stifter hat diese Verdoppelung vorweggenommen. Mann und Frau, Philemon und Baucis, stehen von Anfang an fest. Dialog statt Monolog. Der Hauptdarsteller muß in beide Rollen schlüpfen.

Er entscheidet sich für Bronze statt Holz, mit dem Umweg über Gips. Er stellt die Form über den Inhalt: Frau und Mann werden 4- und 6-teilig gegliedert, ihr Wachstum auf etwas über drei Meter begrenzt, ihre Gliederung in organische Segmente geteilt. Diese sehen aus wie umgedrehte Zuckerhüte und erinnern auch an urtümliche Schachtelhalme, in der Botanik Equisetum benannt. Manche erkennen im Aufbau die Strukturen eines vielschaligen Brunnens. Vor allem aber erkennt man die formalen Prinzipien des Hauptdarstellers Rennertz wieder, seinen vertrauten Sprachrhythmus.

Dann seine Entscheidung: ein Sockel für zwei Figuren. Der Dialog wird zur Partnerschaft angehoben. Daraus folgt: Abstände sind zu bestimmen, die Maßstäbe der Teile, die räumliche Durchlässigkeit, die Ansichten von vorn und hinten, das Spiel von Körper und Fläche. Große klassische Vorbilder für diese Konstellation stehen in Weimar (Goethe und Schiller von E. Rietschel) und in Berlin (Die preußischen Prinzessinnen von G. Schadow). Rennertz spricht von seiner Gruppe die männlich/weibliche Beziehung an: „Der Turm und die Wiegende“.

Es handelt sich hier jedoch eindeutig um Philemon und Baucis. So hat es der Stückeschreiber gewollt. Und damit handelt es sich und die dritte Verwandlung. Zuerst kam der Platz, dann die Skulpturen und schließlich der Titel zum Stück, die Namen der beiden Alten, nach den Metamorphosen des Ovid. Der Stoff zieht ein und damit die Erzählung.

Der Inhalt ist bekannt und oft vorgetragen: Zeus und Hermes bei dem gastfreundlichen Paar. Die große Bewirtung. Die Anweisungen der göttlichen Gäste. Der Aufbruch. Die Flut. Der Tempel. Die Verwandlung von Philemon und Baucis, am Ende ihres Lebens.

Die Hütte wird zum Tempel und unter der Hand von Rennertz – das Holz zu Bronze. Die Form der Stele personifiziert sich in Philemon und Baucis. Die beiden Menschen verwandeln sich nach der sage bei ihrem Tod in Bäume, in Eiche und Linde. Und diese letzte Verwandlung vollzieht der Bildhauer mit, macht sie eigentlich überhaupt erst sichtbar im Kanon seiner Skulpuren. Hier setzt seine Erzählung ein, und der Souffleur muss schweigen.

Ein Schlusswort sei ihm gestattet. Der Eintritt in die Lichtentaler Allee ist nicht der Eintritt in den Mythos, aber in eine alte Geschichte. Der Regisseur Brunsing ersetzt heute und morgen und im Laufe der Zeit die vorhandenen Ahorn- und Tulpenbäume allmählich wieder durch die angestammten Eichen und Linden. Der Stifter Metzmeier stellt dazu die anschauliche Legende bereit, und der Bildhauer Rennertz hat diese in eine handgreifliche Form gegossen.

Im Vorspiel auf dem Theater in Goethes Faust sagt die lustige Person;

„Laßt uns auch so ein Schauspiel geben.
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebts, nicht vielen ists bekannt,
und wo Ihrs packt, da ists interessant.“