Oliver Kornhoff

Karl Manfred Rennertz – Die expressive Geste

Kraftvoll-urtümlich und gleichzeitig sorgfältig kalkuliert, das kennzeichnet die „expressive Geste“ in Karl Manfred Rennertz’ Holzskulpturen. Sägend und raspelnd, mit Feuer und Farbe überführt er die Gestaltungsmittel der abendländischen Bildhauertradition, Anregungen expressionistischer Holzbildwerke, die Kantigkeit Afrikas in zeitlos sublimierte Formen.

Holz ist die Basis und gleichzeitig elementares Ausdrucksmittel seines bildhauerischen Schaffens. Dabei geht es Karl Manfred Rennertz nicht um eine bewusste Entscheidung gegen den Stein, gegen das immer schon dagewesene, ewige Material, das eher erdgeschichtlichen denn menschlichen Zeitmaßstäben unterliegt. Gleichwohl ist die temporale Komponente eine konstituierende Qualität von Holz. Im Holz steckt Zeit. Die Zeit, in der der Baum wächst, die Jahre der Lagerung und Trocknung im Rennertz’schen Atelier oder auf dem umgebenden Gelände, bis der Stamm reif zur Bearbeitung ist. Immer bleibt das Holz dabei offen. Es nimmt auf, es gibt ab. Holz quillt, trocknet und reißt. Holz arbeitet, solange es existiert. Holz als natürlicher Rohstoff unterliegt den gleichen Mechanismen des Wachsens und Werdens und des Sterbens und Vergehens wie der Mensch. In diesem Sinn ist Karl Manfred Rennertz’ Arbeit mit gefällten oder abgestorbenen Bäumen immer auch eine Art Lebenszeitverlängerung, bei der der ausgediente oder für die industrielle Weiterverarbeitung uninteressante Stamm im Kunstwerk zumindest für eine gewisse Zeit dem Verfall entzogen ist. Nachdem er dem Holz seine künstlerische Form verliehen hat, begrenzt er dessen Offenheit zwar, indem er die Skulpturen mal sporadisch, mal großflächig bemalt, aber er verschließt das Naturmaterial nie ganz. Nicht zuletzt deshalb gelingt es den Figuren, gleichzeitig organisierte, gestaltete plastische Masse und lebendige Form zu sein. Karl Manfred Rennertz vermeidet dadurch jeglichen Eindruck einer perfektionistischen Materialsprache, die auch in der Kunst den Werkstoff Holz längst erreicht hat. Die materielle Wirklichkeit des Materials selbst bestimmt die Kraft seiner Figuren. Die Ausgangsbasis für seine skulpturalen Bildwerke ist immer das massive, industriell unbearbeitete volle Stammholz, aus dem die Form mittels Kettensäge herausgearbeitet wird. Die Kettensäge macht sowohl eine Veredlung als auch ein Aufheben der Naturhaftigkeit unmöglich. Das Holz seiner Skulpturen bleibt daher immer auch ein Stück weit ungestaltet. Nie werden verschiedene Werkstücke bildnerisch zusammengesetzt, immer sind die Formen aus einem einzigen gewachsenen Stück Holz herausgesägt. Dazu muss der Bildhauer die Skulptur in die natürlichen Dimensionen des Holzes hineindenken, die Wachstumsstrukturen des Stammes erkennen und nutzen, um vorhersehen zu können, welche Eingriffe es braucht, um bei minimalem Materialverlust dem Stamm das Bildwerk abzuringen. Karl Manfred Rennertz umreißt in einer Zeichnung oder direkt auf dem Stamm schwarz und weiß die Silhouette seiner Figuren, um sie anschließend mit gezielten Sägeschnitten vom umgebenden Material zu befreien.

„Schwarze aus Lüttich“

Oft lässt der Sockel den ursprünglichen Umriss des Stammab- oder -ausschnitts noch gut erkennen, besonders deutlich bei einer Figur wie der Schwarzen für Lüttich [Abb. 1]. Unbearbeitet belassen dokumentiert er, wie genau Karl Manfred Rennertz die Figur in den Stamm hineinkomponiert. Der künstlerische Prozess beginnt mit der (Wieder)Aufrichtung des Stammes, der das vormals liegend gelagerte Holz zum menschlichen Pendant werden lässt. Der erste Schnitt mit der Säge definiert dann das vorher ungerichtete bildhauerische Volumen und legt die Ansichtsseite der Skulptur fest. Von dort aus bereinigt der Künstler die menschliche Figur von allem Überflüssigen, so dass die Körperteile zu geometrischen Einzelformen reduziert werden. Im Fall der Schwarzen für Lüttich aus dem Jahr 2002 ist die gesamte Figur aus prismatischen Dreiecksformen unterschiedlicher Größe aufgebaut. Zwei große Einzelformen fungieren als Bein/Fuß- und Hals/Kopfbereich. Sie rahmen einen aus weiteren Prismen gebildeten Torso ein, bei dem die Grenzen zwischen Schultern und Armen, zwischen Händen und Hüfte verwischen. Allein Schultern und Beckenknochen sind jeweils durch markante Spitzen bezeichnet. Schulter- und Hüftlinie sind gegensätzlich geneigt und verleihen der Figur eine zusätzliche Dynamik, eine federnde Eleganz, die dem gotischen Schwung verwandt ist. In der ausgewogenen Ponderation der abstrahierten Körperformen findet sich das klassische abendländische Kompositionsschema des Kontraposts wieder. So macht Karl Manfred Rennertz für seine abstrahierte universelle Darstellung der menschlichen Figur tradierte bildhauerische Gestaltungsmerkmale fruchtbar.

„Schwarzes Paar“

Bei aller konzeptuellen Präzision lebt aber immer ein gewisses Maß an roher Unmittelbarkeit und impulsiver Kraft in den unverschliffenen Arbeitsspuren fort. Davon zeugen besonders die beiden Figuren des Schwarzen Paares [Abb. 2] aus dem Jahr 2002, die zudem eine deutlich archaischere Formensprache als die Schwarze für Lüttich prägt. Anstatt die Körperteile zu geometrischen Formen zu abstrahieren, verdichtet Karl Manfred Rennertz hier Beine, Rumpf und Kopf zu stereometrischen Volumina. Seine kraftvolle Präsenz erhält das Schwarze Paar durch eine fast schon aggressive Formensprache, die die Körper mittels tiefer Fugen zu zerschneiden droht. Ihr Volumen wird durch das Aufeinandertreffen von Flächen definiert, deren Stoßkanten ein hohes Maß an formaler Energie transportieren. Der Rumpf ist tief zwischen die kräftigen Beine eingefügt, und im lastenden Stehen scheint die Verwandtschaft mit afrikanischen Skulpturen auf. Die hängenden Arme scheinen endlos lang und sind derart voluminös, dass die Rümpfe dadurch noch gedrungener wirken. Die Vehemenz, mit der hier das Prinzip der Formenaddition vorgetragen wird, ist diametral zur schwingenden Leichtigkeit der vertikal gereihten Dreiecksformen, die die Schwarze für Lüttich bestimmt. Dabei ist die Skulptur, obgleich vollplastisch gearbeitet, deutlich auf eine spezielle Ansicht hin ausgerichtet. Noch stärker gilt dies für Schwarzes Paar, das aus den beiden Halbschalen desselben Stammabschnitts geschaffen ist und dessen Rückseiten ausgehöhlt sind. Tiefe vertikale und horizontale Schnitte zeugen rückseitig von der Vehemenz der Materialextraktion.

Auf der Vorderseite des feuergeschwärzten Figurenpaares wurden die Sägespuren und Spanreste durch die form- und farbvereinheitlichenden Flammen jedoch getilgt. Die holzkohleartige Oberfläche scheint dabei jegliches Licht zu absorbieren. Da Licht und Schatten für den Betrachter Form erst erfahrbar werden lassen, reduziert sich auch die räumliche Wahrnehmbarkeit der Skulpturen. Die plastische Masse verdichtet sich und lenkt die Aufmerksamkeit von der zuvor lebendigen Oberflächenbeschaffenheit auf den Zeichencharakter der tiefschwarzen Gesamtform. Dieser wird durch die monumentale Größe und Reliefhaftigkeit der Figuren noch verstärkt.

„schwarze Maske“, „finnische Maske“

Die ebenfalls feuergeschwärzte Maske [Abb. 3] aus dem gleichen Jahr ist zwar auch hinten ausgehöhlt, entzieht sich jedoch durch ihre Überlebensgröße und durch die Einheit mit dem blockhaften Sockel ihrem eigentlichen Verwendungszweck. Andere Masken wie Finnische Maske [Abb. 4] von 2004, sind noch nicht einmal ausgehöhlt, sondern sind schlicht bemalte Form. Es bleibt kein Raum für Spekulationen, nichts, was die Funktion einer Maske, die Verwandlung in eine andere Wesenheit, im Rollenspiel noch ermöglichen würde. Auf seine zeichenhafte Bedeutung reduziert, erzeugt das Werk eine abgeschlossene, selbstständige künstlerische Wirklichkeit, und seine Aura beruht, auf diese Weise vielleicht den Skulpturen Afrikas verwandt, allein auf plastischer Potenz.

Während das Schwarze Paar aus zwei Stammhälften entstand und die Rundung des Stammes, die im Sockel noch zu erkennen ist, den bildhauerischen Zugang von außen bezeugt, ist für Innen [Abb. 5] der ganze Stamm gespalten worden. Zusammen mit Schwarzes Boot im Roten Meer [Abb. 6] und einer weiteren Arbeit entstand es aus dem gleichen Stammabschnitt.

„Innen“, „Schwarzes Boot im Meer“

Das hochrechteckige Relief aus dem Jahr 2003 kündet also im Titel sowohl von seiner ursprünglichen Verortung im Stamm als auch von den inhaltlichen Dimensionen des Kunstwerkes. Die Spuren der Aushöhlung, bei Schwarzes Paar und Maske ausschließlich rückseitiges Resultat der Materialentnahme, sind hier zum vollgültigen Gestaltungselement auf der Schauseite geworden, das den Eigenwert der Oberflächengestaltung verdeutlicht. Zudem lenken die horizontalen Säge- und diagonalen Schnittspuren den Blick des Betrachters in Richtung der vertieften Mittelachse. An den Längskanten und Ecken dagegen lässt Karl Manfred Rennertz die Rundung des Stammes, die feuergeschwärzte „Außenhaut“ mit ihren Knorren und Astansätzen in das fleischig rot bemalte Bildfeld hineingreifen und verstärkt so die Anmutung eines freigelegten Körperinneren. Diese resultiert besonders aus der Bemalung. Auf eine schwarze Grundierung wird warmes Rot flächig aufgetragen. Dabei bleibt in den tiefen Furchen dunkle Farbe weiterhin sichtbar. Rot und Schwarz greifen ineinander, überlagern sich – bekräftigen sich gegenseitig. Indem sie ihre eigene malerische und materielle Autonomie bestätigen, versehen sie die Holzbildwerken fast immer innewohnenden „Reste von Natur“ endgültig mit einem, wie Karl Manfred Rennertz sagt, „künstlerischen Make-up“.
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Karl Manfred Rennertz gelingt es, in seinen Bildwerken dem Material Holz eine besondere Wirkungsmacht zu verleihen. Während die Oberflächentexturen den energischen künstlerischen Eingriff bezeugen, ihre übersteigerte Größe oder urtümliche Formensprache die schöpferische Kraft und Intensität des Ausdrucks übermitteln, bewirken Feuer und Bemalung eine Verfremdung und Entmaterialisierung des Werkstoffes zugunsten einer Konzentration auf die Form- und Farbwirkung. So wird bei Karl Manfred Rennertz die „expressive Geste“ zum Bindeglied zwischen Natur und Kunst, zwischen archaischer Gestalt und moderner Abstraktion.

(1) Zum Bildhauermaterial Holz allgemein vgl.: Stefanie Dathe. Holz in der Gegenwartskunst. In: unterHolz. Holz in der Gegenwartskunst. Ausst. Kat. Ravensburg 2002, S. 7.