Dr. Ursula Merkel

zunächst möchte ich mich herzlich bedanken für die freundliche Einladung, Ihnen zur heutigen Eröffnung der Ausstellung mit Werken von Karl Manfred Rennertz eine kleine Einführung zu geben. Ich bin der Einladung in das Deutsch-Französische Kunstforum hier im wunderschönen Schloss Vaudrémont sehr gerne gefolgt, zumal ich den Arbeiten des Bildhauers in den vergangenen Jahren auf Ausstellungen und auch in unserem Museum in Karlsruhe mehrfach begegnet bin. So hatte ich in den zurückliegenden Jahren immer wieder die Gelegenheit, die Entwicklung seiner künstlerischen Arbeit und seinen Weg als Bildhauer zumindest in wichtigen Ausschnitten mitzuverfolgen. Ein herzliches Dankeschön möchte ich auch an Frau ……. richten, die meinen deutschen Text für diese Einführung ins Französische übersetzt hat.

Meine Damen und Herren, die Strafe, die Prometheus traf, war sehr hart: für eine Ewigkeit sollte er nach dem Willen der Götter an einen Felsen gekettet bleiben, hoch oben, einsam, nur dem Adler zugänglich, der ihm immer wieder die nachwachsende Leber aus dem Leib riss. Diese Strafe traf ihn, weil Prometheus, der rebellische Titan und erste Künstler, den Menschen das Feuer brachte und ihnen dadurch eine höher entwickelte Lebensform ermöglichte. Auf diese Weise revolutionierte er das menschliche Leben und zerstörte zugleich sein eigenes.

Herakles endlich setzte seiner Qual ein Ende, die Dialektik des Feuers blieb jedoch in der Welt: Lebenserhaltend und lebensnotwendig ist es, aber es ist auch verheerend und alles verschlingend. Es erhält und es zerstört, es schafft Wärme und helles Licht, aber auch tiefschwarzen Ruß. Karl Manfred Rennertz hat diese dialektische Kraft des Feuers seiner Kunst dienstbar gemacht.

Mittlerweile ist es fast genau zwanzig Jahre her, dass anlässlich einer Ausstellung in Nordhorn auf eine seiner großen Holzskulpturen ein Attentat verübt wurde: Sie wurde mutwillig mit Öl übergossen und in Brand gesteckt. Diese auf Vernichtung eines Kunstwerks zielende Attacke eröffnete dem Bildhauer jedoch ganz neue künstlerische Perspektiven. Die Skulptur widerstand dem Feuer und ging daraus – wie Phönix aus der Asche – neu hervor: als vom Feuer geschwärzte „Große Nordhornerin„, die sich heute im Besitz des Centre Pompidou in Paris befindet.

Karl Manfred Rennertz erkannte sofort das gestalterische Potenzial und die ungeahnten Möglichkeiten, die sich nun für seine eigene Arbeit eröffneten. Geschult durch die solide künstlerische Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf in den 1970er Jahren, u.a. als Meisterschüler von Prof. Alfonso Hüppi, setzte er diese neuen Impulse konsequent um. Die Wandlung vollzog sich nicht im Sinne eines Bruchs oder einer scharfen Zäsur in seinem Schaffen, sondern als zunächst tastende, dann immer klarer heraustretende gestalterische Methode, mit der Materie Holz schöpferisch umzugehen.

Karl Manfred Rennertz ist Bildhauer und arbeitet – wenn er mit seinem wichtigsten Material, dem Holz, umgeht – im klassischen Sinne skulptural: Er nimmt weg, um aus den Holzstämmen das herauszuarbeiten, was er in ihnen angelegt sieht. Sein bevorzugtes Werkzeug ist die Kettensäge, ein durchaus martialisches Instrument, das der Künstler jedoch einfühlsam und mit Respekt für das Eigenleben seines Materials einsetzt. Als erster Bildhauer der jüngeren Generation hat er vor rund zwei Jahrzehnten diese Arbeitsinstrument für sich entdeckt. Es erlaubt keine kleinteiligen, feinen Schnitzarbeiten, sondern hinterlässt im Gegenteil kantige, keilförmige Einschnitte und eine spröde, splittrige, von unzähligen Schürfungen und Schrunden belebte Oberfläche.

Bäume als Naturskulpturen, die durch ihre aufrechte Statur Parallelen zum Menschen aufweisen, faszinieren den Bildhauer schon lange. Und so erstaunt es auch kaum, das anthropomorphe bzw. vegetabile Bezüge bei fast allen seinen Arbeiten auszumachen sind, freilich in verzerrten, eigenwilligen Proportionen und expressiven Gestaltgebungen. Stets ist die Form aus dem Stamm heraus entwickelt, auf dessen Rundung und innere Struktur zurückbezogen. Aufgrund dieser spezifischen bildnerischen Sprache hat man Rennertz´ Skulpturen oftmals dem sogenannten Neuen Expressionismus zugeordnet, ohne dass diese Etikettierung seiner Kunst jedoch tatsächlich gerecht werden könnte.

Seine Vorgehensweise erfordert präzise Vorarbeit, d.h. detaillierte Konzeption und Komposition. So entwickelt Karl Manfred Rennertz seine Vorstellungen zunächst auf dem Papier und legt seine Bildwerke in Vorzeichnungen genau an. Danach überträgt er sie auf den Baumstamm, um anschließend alles Überflüssige an Materie zu entfernen. Die Schwärzung der Oberfläche mit Hilfe eines Flammenwerfers – auch hierbei bleibt nichts dem Zufall überlassen – ist der letzte Arbeitsschritt. Das Holz ist dann nicht mehr Zypresse, Tulpenbaum oder Mammutbaum, sondern nur in der durchaus erkennbar bleibenden Spezifik seiner Bearbeitung gibt es sich noch als Hart- oder Weichholz zu erkennen. Durch das Feuer erhalten die Skulpturen eine weiche schwarze Hülle, eine matt-dunkle, samtene, lichtverschlingende Patina, eine schwarze Aura, hervorgegangen aus energetischer Verdichtung. Dabei ist das Rohmaterial des Künstlers, das Holz, ja bereits selbst eine Verdichtung, geschaffen aus Erde, Wasser, Luft und Licht. Das Feuer – in der alten Naturphilosophie der Ursprung allen Seins und eine besondere Erscheinungsform des Lichts – fügt Rennertz hinzu und schließt so den Kreis der Elemente.

Die Ausstellung, die heute hier in Schloss Vaudrémont eröffnet wird, thematisiert ein Phänomen, das in seiner uns geläufigen Erscheinung zweidimensional und nicht greifbar ist, das keine Farbe hat und in der Nacht verschwindet, um das sich in seiner rätselhaften Erscheinung viele Geschichten und Mythen ranken: der Schatten. Der Titel der Präsentation – „Le corps de l´ombre„ – macht neugierig, indem er implizit Fragen aufwirft. Offensichtlich geht um etwas, das auf den ersten Blick als Paradox erscheint: Was für eine Beziehung besteht zwischen Körper und Schatten, zwischen einem Volumen – sei es Mensch oder Tier, Pflanze oder Haus – und seinem dunklen Antipoden? Kann ein Schatten einen Körper haben und wie ist dieser darstellbar, vor allem: wie ist er plastisch-bildhauerisch darstellbar? Um solche und andere Fragestellungen kreist die Ausstellung, für die Karl Manfred Rennertz eine neue Werkgruppe, ein eigenes Ensemble mit einer ganz besonderen Beziehung zu Schloss Vaudrémont geschaffen hat.

Viele der ausgestellten Werke sind nicht nur hier vor Ort, im Dialog mit diesem Ort und seiner spezifischen Aura und somit ganz auf ihn bezogen entstanden, sondern zu einem gewichtigen Teil auch aus Material, sprich Baumstämmen, die hier – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre Wurzeln hatten. Dabei handelt es sich um Bäume aus dem hiesigen Schlosspark, die der zerstörerische Sturm am Jahresende 1999 forderte, insbesondere um eine uralte Sumpfzypresse, die einst durch ihre gewaltigen Ausmaße den Garten bewacht und beherrscht hat. Hier, an ihrem Herkunftsort, sind die ihrer natürlichen Lebensfähigkeit beraubten Naturelemente in Kunstobjekte verwandelt worden, und ohne Frage ist auf diese Weise auch etwas von ihrer Geschichte und ihrer Umgebung in die Gestaltung mit eingeflossen.

Lassen Sie uns nun die Ausstellung im Inneren des Schlosses betrachten und die fünf Räume imaginär durchschreiten. Sie sind nicht als isolierte Einzelelemente zu sehen, sondern untereinander eng verbunden und weisen auch im Wechselspiel der Wahrnehmung von innen und außen vielfache Bezüge auf – zu den Skulpturen im Außenbereich, also dem im Burggraben schwimmenden Boot, das wir später noch brennend erleben werden und zum goldenen Kristall im Innenhof, aber auch zur unmittelbaren Umgebung des Schlosses und zur umliegenden Landschaft.

Im ersten Raum nimmt eine hohe, schwarze, vollplastisch gearbeitete Figur den Blick gefangen. Sie stellt in ihrer kantigen Rhythmisierung der Volumen nicht nur den Bezug zur bisherigen künstlerischen Arbeit von Karl Manfred Rennertz her, indem sie exemplarisch für seine skulpturalen Werke der letzten Jahre steht, sie schafft vielmehr auch die innere Verbindung zu den folgenden Kabinetten und insbesondere zum letzten Raum. Mit ihr beginnt ein Spannungsbogen, der unter anderem die Verwandlung der Skulpturen von der körperhaften Existenz zum schattenhaften Sein anschaulich werden lässt. Flankiert wird sie von vier archaisch wirkenden, farbig bemalten Kopfreliefs, die – einer Ahnengalerie gleich – an der Wand aufgehängt sind. Ihnen antworten als geheimnisvoll-suggestive Silhouetten im folgenden Raum zwei schwarze Masken wie dämonische Schatten. Innen und außen verschränken sich hier besonders eindrucksvoll: Während der kleine Brunnen in der Zimmerecke mit der aus grünem Beton modellierten Maske die Bewegung des Elementes Wasser als fließende, strömende Materie auch akustisch vergegenwärtigt, wirkt die außenliegende Wasserfläche des Schlossgrabens dagegen wie ein ruhiger, unveränderlicher Spiegel, aus dem sich eine mächtige Schlange windet.

Im dritten Raum wird das Thema Wasser erneut aufgegriffen, nun jedoch unter anderen Vorzeichen. Hier ist die Situation des Außenbereichs in das Innere übertragen, der Raum selbst gleichsam zur Wasserfläche geworden: Zwei seerosenartige Gebilde liegen am Boden, eine kleines, goldenes Boot, ähnlich jenem im Schlossgraben, zieht an diesem Platz seine stille Bahn. Im friedlichen Nebeneinander begegnen sich eine der Natur entlehnte, freilich stark stilisierte Form und eine Urform der menschlichen Kulturgeschichte als archetypisches Zeichen und fügen sich zu einem geheimnisvoll entrückten Bild. Von hier aus geht es weiter in das nächste Kabinett mit kleineren Bronzeplastiken, die an Türme aus tanzenden, aufeinander gesetzten Kegeln erinnern, und mit drei großformatigen, leuchtend farbigen Gouachen an der Wand, die jene Bronzetürme im zweidimensionalen Bereich eigenständig paraphrasieren. Auf diese Weise eingestimmt, erreicht der Betrachter schließlich den letzten, den fünften Raum, den Hauptsaal der Ausstellung und Zielpunkt der Raumabfolge.

Hier werden wir in einer geradezu beklemmenden Intensität konfrontiert mit einem überdimensionalen Menschenpaar: Schattenmann und Schattenfrau, so schwarz wie der Schatten, den sie werfen; zwei fremdartig anmutende Wesen, die aus dem Stamm der Sumpfzypresse des Schlossparks herausgeformt wurden. Die Kompaktheit der Volumen, die noch jene Figur im ersten Raum zeigt, ist verloren; die Körper sind an ihrer Rückseite ausgehöhlt, negieren alle Plastizität und sind wahrhaftig zu Schatten geworden – aber diese Schatten haben auch einen eigenen Körper, genauer: sind selbst Körper geworden. Der Bogenschlag zurück zum ersten Raum ist vollzogen, die Wandlung vollbracht. So löst sich das eingangs erwähnte Paradox und öffnet – zusammen mit den weiteren Elementen der Ausstellung, dem Boot und dem glänzenden Kristall im Außenbereich – ein weites Feld der Assoziationen: Sind es vielleicht die Schatten der Unterwelt, denen wir hier begegnen? Steht der goldene Kristall als Symbol für eine festlich gestimmte, wenn auch vergängliche Diesseitigkeit als Gegenwelt zum Schattenreich? Und schließlich das goldene Boot im Schlossgraben – ist es eine Fähre, die den Wechsel der Welten ermöglicht? Die vom Licht zur Dunkelheit führt oder vielleicht eher vom Schatten ins Licht?

Meine Damen und Herren, Sie merken schon, dass ich am Ende meiner kleinen Einführungsrede keine festgelegte und verbindliche Interpretation für diese vielschichtige und phantasievolle Ausstellung anbieten möchte. Dazu ist das Skulpturenensemble, das Karl Manfred Rennertz für Schloss Vaudrémont geschaffen hat, viel zu komplex. Man kann sich ihm auf mehreren Ebenen und mit ganz verschiedenen Fragen nähern und wird – je nach Art der Fragestellung – auch unterschiedliche Antworten erhalten. Die jeweils wichtigen und entscheidenden Fragen kann jedoch nur der einzelne Betrachter für sich selbst an die Kunstwerke richten. Dann fangen sie an zu sprechen und erzählen uns ihre Geschichte.

Wir sind nun eingeladen, uns auf den Dialog mit den Werken von Karl Manfred Rennertz einzulassen, und ich wünsche dabei Ihnen, meine Damen und Herren, viele interessante und bereichernde Entdeckungen und der Ausstellung für die kommenden Wochen guten Erfolg und lebhafte Resonanz. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.