zur Eröffnung der Ausstellung in der Majolika ART, Karlsruhe am 06.02.2015
Kunst ist immer gleich und doch immer anders. Mit Stephan Balkenhol stellte die Majolika-Manufaktur hier in ihren Galerieräumen ab April letzten Jahres Keramik eines renommierten Künstlers aus, der das Hauptgewicht seines Schaffens auf die anthropomorphe Holzskulptur legt. Mit Karl Manfred Rennertz folgt heute ein Künstler mit ganz ähnlichem Schwerpunkt. Im Gegensatz aber zu Balkenhol nimmt die Keramik im Werk von Rennertz schon jetzt, obwohl erste eigenständige Arbeiten erst 2014 entstanden, in seinem aktuellen Gesamtschaffen einen relativ breiten Raum ein.
Das keramische Werk von Karl Manfred Rennertz dreht sich um die menschliche Gestalt. Darin setzt es eine Entwicklung fort, deren Anfänge mindestens bis in die Mitte der 1970-er Jahre zurückreichen. Als Schüler der Düsseldorfer Kunstakademie schuf er damals veristische, porträtähnliche Standfiguren aus behauenem Holz in Lebensgröße. Ihre vibrierende, feinstrukturierte Oberfläche zeigte damals die Absicht des Künstlers, die natürliche Eigenart des Materials, wie dessen Maserung und sonstige gewachsene Unregelmäßigkeiten, sowie die Spuren seiner Bearbeitung mit dem Stechbeitel als integralen Bestandteil der künstlerischen Wirkung der Skulptur zu nutzen. Und schon damals reizte es ihn, durch die Bemalung einiger Arbeiten mit Realitätsebenen zu spielen.
Auf Subtilität folgte nach wenigen Jahren Expressivität. Mit der Kettensäge aus massiven Baumstämmen herausgeschnittene, übereinander angeordnete Keilformen bilden abstrakte, menschliche, häufig überlebensgroße Gestalten. Eine farbige Bemalung oder ein Anbrennen der Oberfläche lassen die Objekte scheinbar altern: tiefsinnige und subtil ausponderierte Arbeiten an der Nahtstelle von Architektur, Skulptur und Malerei im Wirkungsfeld von gewachsener und zerstörter Natur – Werden und Vergänglichkeit. Der Künstler offenbart: Im Kern runder Baumstämme stecken kantige Gesellen.
„In Keramik arbeite ich eigentlich nicht“ hätte Karl Manfred Rennertz noch vor zwei Jahren gesagt. Dann aber griff er 2014 zum Ton, der Bildhauer wurde auch Plastiker. Er nimmt nun kein Material mehr weg, sondern fügt welches hinzu, weichen Ton, Zerfallsprodukt von hartem Gestein. Wie bei der Holzbildhauerei liefert die Natur auch hier den Rohstoff, der Künstler die bildnerische Idee. Streng genommen gingen dem großen Schritt in Richtung Keramik aber schon viele kleine voraus: Bozzetti, plastische Skizzen aus Ton für Skulpturen aus Bronze und Beton. Jetzt aber wird der Ton durch das Brennen zum autonomen Kunstwerk nobilitiert, ist Endzweck, nicht mehr nur Mittel.
Das Hauptkontingent der in diesen Räumen ausgestellten Keramiken von Karl Manfred Rennertz bilden Köpfe. Eine Ausstellung im Skulpturenpark „La Serpara“ bei Civitella d’Agliano war im letzten Jahr Anlass ihrer Entstehung; der Künstler selbst schildert die näheren Umstände : „Ich beschließe einen Materialwechsel: Keramik statt Holz, besser für den Außenbereich. Kleine Skulpturen, Köpfe, freie farbig glasierte Formen können im mächtigen Grün leuchten. Im Etruskerland hat die Keramik große Tradition und obschon auch in meinem Heimatort im Rheinland seit Jahrhunderten die Töpferei zu Hause ist, habe ich bisher nie mit diesem Werkstoff gearbeitet. Wagen wir ein Experiment!“
Das Experiment gelang. Ihrer künstlerischen Solidität entsprach auch ihre technische: Die Köpfe überstanden ihren Aufenthalt im Freien ohne Schaden.
Die ersten Köpfe, die Karl Manfred Rennertz für Italien schuf, finden sich auch in unserer Ausstellung. Sie stehen im langen Gang, von hier aus gesehen rechts an der Wand. Die braunen, unglasierten Köpfe einer Frau und eines Mannes rahmen dort zwei andere, bemalte Exemplare ein. Mit ihrer doppelten Lebensgröße erheben die Plastiken nicht den Anspruch, Menschen imitieren zu wollen. Vielmehr sind es freie Arbeiten. Sie wurden jedoch vom Künstler zeichnerisch vorgebildet und dann ins bildsame Material des Tons umgesetzt. Trotz fehlender farbiger Bemalung und gewisser Deformationen – die Hinterköpfe etwa sind verkleinert und der Frauenkopf ist in die Länge gezogen – wirken die beiden Arbeiten erstaunlich lebendig, hellwach und präsent. Der nun neu in die Gruppe der Plastiker aufgenommene Künstler verstand es, durch aufgedrückte und mit dem Finger verstrichene Tonklümpchen eine flimmernde, vibrierende Oberflächenstruktur zu schaffen. Sie lässt die Köpfe noch lebendiger erscheinen und wirkt glatter, abweisender Denkmalhaftigkeit entgegen. Je nach Lichteinfall verändern sich die Schatten dieser Struktur. Die handwerkliche Erfahrung des Künstlers beim Bilden von Tonbozetti seiner Bronze- und Betonskulpturen hinterlässt hier ihre bereichernden Spuren.
Die beiden mittleren, farbigen Köpfe hat der Künstler in eine andere Realitätsebene geführt. Die stellenweise durchscheinende, die gesamte Oberfläche der Plastiken überziehende weiße und terrakottafarbene Fassung schwächen ihren Realitätsgehalt und: lassen sie aber dennoch umso lebendiger erscheinen. Die großen Augen mit weißer Lederhaut blicken selbstbewusst in die Ferne.
Zwei andere Köpfe der Ausstellung in keulenförmiger Gestalt wirken seltsam kauzig. Die mandelförmigen Gesichtsfelder trennen sich nur mit einer einfachen Rille von der Form; Nase und Mund sind noch stärker als die Augen mit flachen Furchen nur schemenhaft angedeutet. Die Form ist wenig plastisch, die Wirkung der Oberfläche tritt dafür in den Vordergrund. Einritzungen und eine fleckige Bemalung mit Engobe und Glasur lassen das Experimentelle dieser Arbeiten erkennen. Der Künstler hat sich auf den Weg der Erkenntnis begeben, er lotet die Möglichkeiten für die künstlerische Ausdrucksfähigkeit des Materials Ton und Farbe aus; „Expressionistische Köpfe“ nennt er selbst diese Werke.
Das Zusammenspiel von gebauter Form und Oberflächenwirkung bestimmt auch andere Exponate der Ausstellung. Ein unregelmäßig geformter Polyeder etwa wurde mit fleckig aufgetragenem Blattgold überzogen, die Kanten blieben dunkel. In die Oberfläche einer abstrakt-anthropomorphen Skulptur aus doppelkegelförmigen Elementen arbeitete der Künstler schokoladenbraune, matte Engobe in die Oberfläche ein. Beim Brennen mischte sich die Engobe mit dem Ton, es entstand ein belebendes Farbenspiel. Glasur, an die Stoß- und Knickstellen der Skulptur aufgebracht, setzt glänzende, kontrastierende Akzente.
Auch die Sitzplatte der Sitzbank in der Ausstellung zeigt eine belebte keramische Oberfläche. Ihre ungewöhnliche Technik resultiert aus der Tätigkeit von Karl Manfred Rennertz als Professor an der Fachhochschule Detmold. Dort entwickelte er ein Verfahren zur haltbaren Inkrustation mit keramischem Mosaik. Das Grundmaterial sind Bruchstücke glasierter Keramikplättchen, in der Majolika-Manufaktur hergestellt und recht hoch bei 1240 Grad gebrannt. Ein waschartiger Rotationsvorgang reibt die Stücke aneinander und schleift die scharfen Bruchkanten ab. Verkehrt herum auf den Boden ausgelegt werden sie mit Hilfe eines Rahmens in Beton eingegossen. Sie liegen also nicht wie bei einem Mosaik üblich nur auf dem Träger auf sondern sind fest in ihm eingebunden. Form und Ornament sind eins. Im Verfahren mit diesen unregelmäßig gebrochenen und verlegten keramischen Bruchstücken liegt großes Potential. Könnte es nicht helfen, der allzu flächigen und kantigen Architektur der Gegenwart etwas Leben einzuhauchen?
Gefühlte, durch Naturprozesse wirkende Vergänglichkeit ist ein wesentlicher Aspekt des Werkes von Karl Manfred Rennertz. Dieselbe Sprache sprechen auch seine Arbeiten mit Schieferton. Bereits 2009 begann er sich mit diesem Material auseinanderzusetzen, einem Zerfallsprodukt von Schiefergestein. Der Künstler war bei der Beschäftigung mit Abraumhalden des Ruhrgebiets darauf gestoßen. Beim Brand dieses angeblich „tauben“ Gesteins bei 950 Grad blähen sich die Brocken auf und wachsen um 10 – 20 %. Wird die Temperatur um 100 Grad erhöht sintern sie und die blattartige Struktur verfestigt sich. Unwillkürlich dachte der Künstler dabei an die heute noch immer aktuelle Diskussion über das Frackingverfahren bei der Gewinnung von Gas, bei dem gashaltiges Schiefertongestein aufgebrochen wird. Karl Manfred Rennertz inspirieren die aufgeblätterten Steine zum Bilden von Reliefs und freistehenden Skulpturen. Ihr Reiz liegt in ihrer Widersprüchlichkeit von scheinbarer Fragilität und gebauter, konstruierter und optisch harmonisch austarierter Festigkeit des Gefüges.
Meine Damen und Herren, der Altmeister der modernen deutschen Kunstkeramik, Max Laeuger, erkannte im Ton das Material, das auf der einen Seite das ärmste – weil einfachste – sei, auf der anderen Seite aber das reichste, weil es dem Künstler die meisten Ausdrucksmöglichkeiten biete: als frei formbares Material in Verbindung mit Farbe und Glasur. Auch Karl Manfred Rennertz hat sich auf die Suche nach dem Abenteuer Keramik begeben. Sie hat, wie Sie sich selbst in der Ausstellung überzeugen können, bereits zu erstaunlichen und vielversprechenden Ergebnissen geführt.